Ladewig: Dokumentation eines jüdischen Familienverbandes aus Mecklenburg

Ladewig: Dokumentation eines jüdischen Familienverbandes aus Mecklenburg

Jürgen Gramenz
Plaidt 2013
Cardamina® Verlag Susanne Breuel
ISBN 978-3-86424-086-7
400 Seiten
81 Abbildungen
DIN B5, Hardcover

Bezugsmöglichkeiten:
Cardamina® Verlag
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Lehmanns Media

Ladewig Dokumentation eines jüdischen Familienverbandes aus Mecklenburg Einband Ladewig Dokumentation eines jüdischen Familienverbandes aus Mecklenburg Seite


„Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon.
Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn!“
(Bereishit / Genesis 4:7)
Allen Nachkommen und Verwandten der jüdischen Familie Ladewig.
Als Erinnerung an die jüdischen Gemeinden in Crivitz und Brüel.
Und in stillem Gedenken aller, die durch die SS-Kavallerie-Brigade unter der Führung des Kommandostabs Reichsführer-SS in Chomsk, Motol, Telechany, Swieta Wola, Wygonoska, Chotonice, Hancewicze, Kamien- Koszyrski, Lubiaz, Odrozyn, Janow, Borobice, Lohiszyn, Pinsk, Polesje, Dawidgorodek, Koziangrodek, Lunin, Luninez, Pohost Zagorodny, Stolin, Starobin, Mosyr, Toropez, Petrikow, Lenin, Retschiza, Choiniki, Bragin, Bobruisk und unzähligen anderen Ortschaften ermordet wurden.

Inhalt

Auslöser für dieses zeitgeschichtlich-biografische Sachbuch war ein zufälliger DNA-Test, der ein ungeahntes Familiengeheimnis offenbarte, das Opfer und Täter des Nationalsozialismus auf tragische Weise in einer Familie verband. Eine zweijährige Antwortsuche führte schließlich zu einer Materialsammlung, die eine nahezu lückenlose Schilderung einer jüdischen Großfamilie aus Mecklenburg ermöglichte. Anhand rekonstruierter Lebenswege von über fünfzig der unterschiedlichsten Familienzweige und deren Mitglieder, wird so der Aufstieg und Untergang der Familie Ladewig in Gänze und mit umfangreichen Bezügen zur allgemeinen Geschichte der Juden in Mecklenburg über einen 200-jährigen Zeitraum dargestellt.

Durch Kosakenüberfälle und Pogrome aus Westgalizien vertrieben, fanden die ersten Vorfahren der Ladewigs Anfang des 18. Jahrhunderts als Landjuden ohne erblichen Familiennamen in den Mecklenburger Städten Crivitz und Brüel eine dauerhafte Heimat. Neben den alltäglichen Problemen und Streitigkeiten innerhalb der jüdischen Gemeinden, mit der Obrigkeit oder bei der Integration, werden auch Freundschaften und Erfolge in den Mecklenburger Landstädten veranschaulicht. Dazu wurden zahlreiche, bisher unveröffentlichte und erstmalig gesichtete Quellen aus Landes- und Stadtarchiven analysiert, die nicht nur die Geschicke der Familie Ladewig im Speziellen, sondern auch die Geschichte der Juden in Mecklenburg im Allgemeinen betreffen. So wird der Vorgang der Annahme der erblichen Familiennamen der Juden in Mecklenburg im Rahmen ihrer Emanzipationsbewegung in den Jahren 1813/14 in die historischen Gegebenheiten vor Ort eingegliedert.

Die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Gegenemanzipation der deutschen Bevölkerung (so genannte „Hep-Hep-Krawalle“) lieferte auch den Grund für einen der wenigen Übergriffe in Mecklenburg, die das Familienmitglied Levin Ladewig betraf. Im Jahr 1819 Opfer eines durch den Herzog nachträglich aufgebauschten Vorfalles in Schwerin geworden, führte der Vorgang schließlich zu einer Justizposse der besonderen Art, die vor allem von Eitelkeiten und Zuständigkeitsgeplänkel Mecklenburger Staatsbeamten geprägt war. Der gesamte Vorgang wurde aus den Originaldokumenten transkribiert und wird im Buch nun erstmals vollständig veröffentlicht.

Waren die ersten Ladewigs noch einfache Fell- und Trödelhändler, die ihre Familien nur spärlich ernähren konnten, stiegen sie nach Erhalt landesherrlicher Handelsprivilegien zu bevorzugten „Productenhändler“ auf und erreichten schließlich als angesehene Kaufleute mit prosperierenden Geschäften einen beachtlichen Wohlstand. Ihre wirtschaftliche Weitsicht ermöglichte den Kindern einen besseren Start ins Leben und nicht selten ein begehrtes Universitätsstudium im In- oder sogar Ausland. Unter diesen Nachkommen war auch der bekannte Chemnitzer Großfabrikant, Millionär und Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Kommerzienrat Louis Ladewig. Der gründerzeitliche Industrielle stand schon damals für einen seltenen Typus eines verantwortungsbewussten und sozialen Unternehmers, dessen steiler Aufstieg ihn nicht daran hinderte, für seine Angestellten zu sorgen, sie am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen und seinen beiden Heimatstädten Malchow und Chemnitz uneigennützige Schenkungen und Stiftungen zu vermachen. In Zusammenarbeit mit dem Willensverwalter seines Sohnes wurde dazu der Nachlass Karl Ladewigs, der im belgischen Untergrund die deutsche Besatzung überlebte und sich später nur noch Charles Ladewig nannte, gesichtet und so die Lebenswege dieser Familie und des Aufstiegs und Verfalls der Firma Bachmann & Ladewig AG rekonstruiert.

Neben vielen Kaufleuten zählten später auch Mediziner und Rechtsanwälte zum Familienverband. So führte die politische Karriere des Justizrats Carl Laser Ladewig, der wie andere Verwandte auch als Rechtsanwalt in Berlin tätig war, ihn schließlich als gewählten Stadtverordneten in das Stadtparlament von Berlin. Er bestimmte 25 Jahre lang die politischen Geschicke Berlins mit und einige seiner eloquenten und hier veröffentlichten Redebeiträge verdeutlichen noch heute den damaligen parlamentarischen Wortwitz.

Wie bei allen jüdischen Familien ging das schwärzeste Kapitel der deutschen Geschichte auch an dieser Familie nicht vorbei. Die Auswirkungen des Holocausts können durch den Leser anhand konkreter Einzel- und Familienschicksale von den beginnenden Anfeindungen über Ausplünderungen und Verfolgung und schließlich bis zur endgültigen Vernichtung ganzer Familienzweige nachvollzogen werden. Vor allem das Schicksal des Handlungsreisenden Walter Ladewig, der wegen Rassenschande verurteilt wurde und dann den Fängen der nationalsozialistischen Justiz nicht mehr entkommen konnte, sticht dabei heraus und wird bis ins Detail geschildert.

Akribisch dokumentiert wird auch die Ausplünderung und die anschließende Flucht des Berliner Justizrats Fritz Ladewig und seiner Ehefrau Maria, die buchstäblich um die halbe Welt ging. Dass den Emigranten nicht nur durch den Nationalsozialismus schwerste Ungerechtigkeiten widerfuhren, wird anhand des Schicksals eines ihrer Söhne deutlich. Paul Erwin Ladewig (Paul Edward Lawrie) wurde 1940 wie viele deutsche und österreichische Juden, die vor der Verfolgung nach England geflohen waren, durch die britische Regierung als feindlicher Ausländer interniert und trotz der drohenden U-Boot-Gefahr mit der HMT „Dunera“ nach Australien deportiert. Dabei handelte es sich genau um den berüchtigten Vorfall, der später unter dem Begriff „Dunera-Affäre“ traurige Berühmtheit erlangen sollte und für den sich Winston Churchill bei den „Dunera Boys“ entschuldigte.

Häufig nur durch glückliche Umstände konnten nie veröffentlichte Lebensberichte und Testamente entdeckt werden, die einen Blick auf die historischen Gegebenheiten aus der Sicht von Einzelpersonen ermöglichen. Dabei waren insbesondere die Liebesbriefe eines Familienmitglieds aus den Jahren 1941 bis 1945 ein unschätzbarer Fund. Hans Jochen Ladewig (John Frederick Lawrie), der noch als Teenager 1939 nach England fliehen konnte, wurde dort zunächst wie sein Bruder Paul interniert, dann aber mit der S.S. „Ettrick“ nach Kanada deportiert. Nach seiner Rückkehr und dem Eintritt in die britische Armee überlebte er als Panzerfahrer der 8th King’s Royal Irish Hussars die bekannte Schlacht um Villers-Bocage und den blutigen Kampf um den Reichswald. Den letzten Brief an seine vormals Angebete, die sich in der Zwischenzeit aber anderweitig entschieden hatte, schrieb er von der Westfront im Februar 1945. Es war fast genau einen Monat, bevor er nach zwei erlittenen Verwundungen und nur wenige Kilometer wieder auf deutschem Boden bei einem Vorstoß mit seinem Challenger-Panzer auf eine unbedeutende Ortschaft durch eine deutsche Panzerfaust fiel. Er teilte damit das Schicksal so vieler Mitglieder der auch heute noch häufig unbekannten „Churchill’s German Army“, die einen hohen Blutzoll zur Befreiung Westeuropas leistete.

Ein nicht minder intimes Zeitdokument, das für dieses Buch aufgespürt wurde, ist das Videotestament der Holocaustüberlebenden Ruth Ladewig Sonnenschein, die im Alter von 89 Jahren vorwurfslos nicht nur über die bedrohlicher werdende Lage im Nazideutschland, die Umstände ihrer Flucht in die Tschechoslowakei und später nach Amerika und die damit zusammenhängenden geschichtlichen Hintergründe berichtete, sondern auch über die trivialen Sehnsüchte und ersten Liebeleien einer jungen Frau in dieser schwierigen Zeit.

Die ausgewerteten Materialien ermöglichen dem Leser damit nicht nur einen Einblick in die reine historische Faktenlage, sondern auch eine Teilhabe an der heute so fernen Gedanken- und Gefühlswelt von Verfolgten und Emigranten. Und wie die ebenfalls erfassten Lebenswege von Hans Carl und Adelheid Ladewig zeigen, hatten die Entkommenen mitunter auch mit einem schwierigen Neubeginn in den Emigrationsländern zu rechnen.

Und auch in genealogischer Hinsicht lässt das Buch keine Wünsche offen. Bewusst werden zahlreiche Querverbindungen zu anderen jüdischen Familien und bekannten historischen Akteuren, wie dem berüchtigten Nazirichter Roland Freisler oder dem Künstler Henry van de Velde, nicht außer Acht gelassen. Dem interessierten Familienforscher bietet der ca. 1.500 Einträge umfassende Namensindex von Personen, von denen viele ehemals in Mecklenburg beheimatete Juden waren, eine wahre Fundgrube. Nahezu vollständige, über sieben Generationen reichende Stammtafeln, die auf der Grundlage des geretteten und im Rahmen der Nachforschungen nochmals erweiterten Familienstammbaums erstellt wurden, komplettieren das Bild des Familienverbandes.

Auch wenn es sich hier um eine zeitgeschichtliche Dokumentation handelt, muss das Buch als das verstanden werden, als das es ursprünglich konzipiert war: eine späte Wiedergutmachung und ein Nachruf auf eine jüdische Familie, deren Name für immer erloschen ist.